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Komplexe Traumatisierung verstehen: Tiefe Wunden aus früher Kindheit

Manche Verletzungen sind nicht an ein einzelnes Ereignis gebunden –
sie wachsen still mit, über Jahre, und hinterlassen Spuren,
die oft erst viel später wirklich sichtbar werden.
Komplexe Traumata sind wie ein unsichtbarer Rucksack, der sich über Jahre füllt: mit Angst, Hilflosigkeit und dem Gefühl, nie wirklich sicher zu sein. Anders als bei einem einmaligen Schock (z. B. Unfall) entstehen sie durch wiederholte Verletzungen in Beziehungen – oft schon in der Kindheit, etwa, wenn ein Kind immer wieder oder über lange Zeit Belastungen ausgesetzt ist, ohne die Chance auf Schutz, Trost oder echte Unterstützung.
Oft spielt sich dies im engsten Beziehungskontext ab:
in Familien, in denen emotionale Sicherheit fehlt, Gewalt herrscht, Sucht oder psychische Erkrankungen das Leben bestimmen.

Anders als bei einem einmaligen Schocktrauma wirkt komplexe Traumatisierung tief auf die Entwicklung des Selbst,
des Nervensystems und der Fähigkeit, sich selbst und anderen zu vertrauen.

„Was sich nicht schützen konnte, schützt sich später – manchmal auf Kosten des eigenen Lebensgefühls.“

Viele Menschen, die heute unter Ängsten, Depressionen, wiederkehrenden Beziehungskrisen oder einem chronischen Gefühl von Leere leiden,
tragen diese frühen Wunden noch in sich – oft ohne zu wissen, woher sie stammen.

Diese Seite hilft dir, die Mechanismen und Folgen komplexer Traumatisierung zu verstehen –
und zeigt erste Wege, wie Heilung beginnen kann:
durch sichere Beziehungen, neue innere Erfahrungen und die Rückeroberung von Vertrauen in dich selbst.

Kind, das einen langen Weg geht, Sinnbild für komplexe Traumatisierung

📚 Inhalte im Überblick

  1. Was ist eine komplexe Traumatisierung?

  2. Wodurch entsteht eine komplexe Traumatisierung?

  3. Typische Symptome und langfristige Folgen

  4. Unterschiede zur klassischen PTBS

  5. Die Rolle von Bindungstrauma bei komplexer Traumatisierung

  6. Diagnosekriterien der kPTBS

  7. Selbstwertprobleme, Affektdysregulation und Dissoziation

  8. Hilfe und Behandlungsmöglichkeiten bei komplexer Traumatisierung

  9. Mut zur Heilung: Was du heute verändern kannst

  10. Häufig gestellte Fragen

  11. Literaturempfehlungen

Was ist eine komplexe Traumatisierung?
 

Komplexe Traumatisierung unterscheidet sich deutlich von dem, was viele Menschen sich unter einem Trauma vorstellen.
Sie entsteht nicht durch ein einzelnes, klar umgrenztes Ereignis wie einen Unfall oder eine Naturkatastrophe –
sondern durch eine Vielzahl belastender Erfahrungen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken.

Meist beginnt komplexe Traumatisierung schon in der frühen Kindheit: in Beziehungen, die nicht sicher waren, in Familien, in denen Gewalt, Vernachlässigung, Sucht oder psychische Instabilität den Alltag prägten.

Anders als bei einem einmaligen Schocktrauma fehlt hier oft der "eine Moment", an den sich alles knüpft. Stattdessen weben sich kleine und große Verletzungen, Angst, Ohnmacht und das Fehlen von Schutz wie feine Fäden durch die gesamte frühe Entwicklung.

„Komplexe Traumatisierung ist das Echo von Erfahrungen, die zu groß waren, um sie zu verarbeiten – und zu alltäglich, um sie klar zu erkennen.“
 

Wer komplexe Traumafolgen trägt, spürt oft eine tiefe Unsicherheit in sich selbst und der Welt, auch wenn es dafür auf den ersten Blick keinen "sichtbaren" Grund gibt. Die Auswirkungen betreffen nicht nur das Gedächtnis oder einzelne Erinnerungen –  sie prägen das Nervensystem, die Fähigkeit, Gefühle zu regulieren, das Selbstwertgefühl und das Vertrauen in Beziehungen.

Komplexe Traumatisierung bedeutet: Nicht das, was einmal passiert ist, belastet am meisten – sondern das, was immer wieder fehlte.

Wodurch entsteht eine komplexe Traumatisierung?
 

Komplexe Traumatisierung entsteht nicht durch eine einzige schlimme Erfahrung – sondern durch ein Umfeld, in dem Schutz, Verlässlichkeit und emotionale Sicherheit dauerhaft fehlen.

Gerade Kinder sind auf stabile Bindungen und das verlässliche Gefühl angewiesen, dass ihre Bedürfnisse wahrgenommen, ernst genommen und beantwortet werden.
Wenn diese sichere Basis fehlt, wenn Belastungen über lange Zeit anhalten, entsteht ein tiefes Gefühl von Ohnmacht.

 

Bild über die Faktoren, die eine komplexe Traumatisierung auslösen können

Typische Ursachen für eine komplexe Traumatisierung sind:

  • Emotionale Vernachlässigung:
    Die Bedürfnisse nach Trost, Nähe oder Schutz werden nicht erfüllt – selbst wenn die Eltern körperlich anwesend sind.

  • Körperliche oder sexuelle Gewalt:
    Wiederholte Erfahrungen von Bedrohung oder Übergriffen durch Bezugspersonen.

  • Psychische Erkrankungen der Eltern:
    Kinder erleben emotionale Unberechenbarkeit, Überforderung oder den Verlust von verlässlicher Fürsorge.

  • Suchtproblematiken in der Familie:
    Abhängigkeitserkrankungen rauben Bezugspersonen oft die Fähigkeit, emotional präsent zu sein.

  • Elterliche Traumatisierung:
    Eltern, die selbst schwere Traumata erlebt haben, können oft unbewusst eigene Ängste oder Schutzmechanismen an ihre Kinder weitergeben.

  • Vertrauensbrüche:
    Besonders schwer wiegt es, wenn Kinder nicht nur Missbrauch erleben, sondern ihnen auch noch eingeredet wird, sie seien selbst schuld – oder ihnen niemand glaubt.

     

In all diesen Situationen erleben Kinder oft eine fatale Kombination:

  • Permanente Unsicherheit – die Welt ist nicht vorhersehbar oder sicher.

  • Keine Fluchtmöglichkeit – das Kind ist abhängig von denen, die es verletzen oder überfordern.

  • Fehlendes äußeres Unterstützungssystem – niemand greift helfend ein oder bestätigt das Leid.
     

Diese Erfahrungen prägen nicht nur das emotionale Erleben, sondern auch das Nervensystem und das Selbstbild.
Viele Betroffene entwickeln eine erlernte Hilflosigkeit: das tiefe, oft unbewusste Gefühl, nichts tun zu können, um die eigene Situation zu verbessern.


„Komplexe Traumatisierung ist nicht nur das Erleben von Schmerz – sondern das Erleben von Schmerz in Einsamkeit.“
 

Besonders hoch ist das Risiko für eine spätere komplexe posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS),
wenn das Trauma in der Kindheit entsteht, lange anhält und kein schützendes Gegenüber vorhanden ist.

Typische Symptome und langfristige Folgen
 

Komplexe Traumatisierungen hinterlassen oft keine sichtbaren Narben – und doch wirken sie tief in das Erleben, den Körper und die Beziehungen eines Menschen hinein. Viele Betroffene spüren lange nur „etwas stimmt nicht“, ohne die frühen Ursachen dafür klar benennen zu können.

Typische Auswirkungen sind:
 

🌿 Emotionale Dysregulation

Gefühle erscheinen übermächtig oder kaum steuerbar.
Häufige Stimmungsschwankungen, Wutanfälle, Phasen intensiver Trauer oder plötzliche emotionale Leere gehören dazu.

🌿 Dissoziation

Ein Gefühl, neben sich zu stehen, den eigenen Körper nicht richtig zu spüren oder Situationen wie durch eine Glasscheibe zu erleben.
Auch Erinnerungslücken können dazugehören.

🌿 Chronische Übererregung

Das Nervensystem bleibt dauerhaft in Alarmbereitschaft: Schlafstörungen, innere Anspannung, Schreckhaftigkeit oder das Gefühl, nie wirklich zur Ruhe zu kommen.

🌿 Beziehungsschwierigkeiten

Nähe wird als Bedrohung empfunden oder verzweifelt gesucht.
Viele erleben Angst vor Verlassenwerden, Misstrauen, starke Eifersucht oder das Bedürfnis, sich völlig zurückzuziehen.

🌿 Körperliche Beschwerden

Häufig treten psychosomatische Symptome auf:
chronische Schmerzen, Magen-Darm-Probleme, Herzrasen oder Migräne – oft ohne klare organische Ursache.

🌿 Selbstwertprobleme

Ein tief sitzendes Gefühl von Wertlosigkeit, Scham oder „anders sein“.
Viele Betroffene haben große Schwierigkeiten, sich selbst liebevoll anzunehmen.

🌿 Vermeidungs- und Fluchtverhalten

Unangenehme Gefühle werden unbewusst umgangen: durch ständige Ablenkung, exzessives Arbeiten, Suchtverhalten oder Rückzug aus sozialen Situationen.
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) / kPTBS
Wiederkehrende, belastende Erinnerungen (Flashbacks), Albträume, Vermeidung von Trauma-Erinnerungen und andauernde Übererregung, die weit über die ersten Wochen hinaus bestehen.

Zusammenfassung

Unterschiede zwischen klassischer PTBS und komplexer PTBS (kPTBS)
 

Während die klassische PTBS meist als Folge eines einzelnen, klar umrissenen Traumas entsteht,
entwickelt sich die komplexe PTBS (kPTBS) durch langanhaltende, wiederholte Traumatisierungen –
oft schon in der Kindheit und häufig im engen Beziehungskontext.

Hier die wichtigsten Unterschiede auf einen Blick:

🌿 Ursprung des Traumas

  • Klassische PTBS:
    Einzelnes, eindeutig identifizierbares Ereignis (z. B. Unfall, Überfall, Naturkatastrophe).

  • Komplexe PTBS (kPTBS):
    Wiederholte oder anhaltende Traumatisierungen über längere Zeit, meist in nahen Beziehungen.

🌿 Zentrales Symptomprofil

  • Klassische PTBS:
    Flashbacks, Albträume, Vermeidung von Erinnerungen, erhöhte Wachsamkeit (Hyperarousal).

  • Komplexe PTBS (kPTBS):
    Zusätzlich schwere Probleme mit der Gefühlsregulation, tiefgreifende Selbstwertprobleme, chronische Beziehungsschwierigkeiten.

🌿 Selbstbild

  • Klassische PTBS:
    Oft bleibt das grundlegende Selbstwertgefühl erhalten.

  • Komplexe PTBS (kPTBS):
    Häufig entwickeln sich Scham, Schuldgefühle, ein brüchiges oder verzerrtes Selbstbild.

🌿 Beziehungen

  • Klassische PTBS:
    Beziehungen können beeinträchtigt sein, bleiben aber oft grundsätzlich möglich.

  • Komplexe PTBS (kPTBS):
    Tiefe Ängste vor Nähe und Verlassenwerden, instabile oder konflikthafte Beziehungsmuster sind häufig.

     

„Während die klassische PTBS einzelne Wunden hinterlässt, verändert die komplexe PTBS oft die gesamte innere Landkarte.“

Unterschiede zwischen PTBS und kPTBS

Die Rolle von Bindungstrauma bei komplexer Traumatisierung
 

Komplexe Traumatisierungen sind fast immer auch Bindungstraumata.
Denn wenn die Menschen, die eigentlich Schutz, Trost und Orientierung geben sollten, selbst zur Quelle von Schmerz, Unsicherheit oder Angst werden, wird die Verletzung besonders tief – und besonders schwer fassbar.

In der frühen Kindheit lernen wir, wie Nähe sich anfühlt. Wir entwickeln ein inneres Bild davon, ob wir willkommen sind, ob unsere Bedürfnisse zählen, ob wir sicher sind – in Beziehung und in uns selbst.

Wenn ein Kind diese Sicherheit nicht erlebt – wenn es emotionale Kälte, Überforderung, Vernachlässigung oder sogar Missbrauch erfährt – dann wird Nähe nicht zur Quelle von Geborgenheit, sondern zur Quelle von Verwirrung, Scham oder Angst.
 

„Was das Nervensystem in Beziehung verletzt hat, kann auch nur in Beziehung heilen.“
 

Menschen mit Bindungstraumata haben oft tiefe Schwierigkeiten, sich selbst als wertvoll zu erleben. Sie kämpfen mit chronischem Misstrauen, Verlustangst oder dem Gefühl, Nähe nicht ertragen zu können.
Viele berichten, dass sie sich selbst verlieren, sobald sie einem anderen Menschen zu nahe kommen – oder dass sie sich regelrecht auflösen, wenn sie verlassen werden. Die Verbindung zu sich selbst – zu den eigenen Bedürfnissen, Grenzen, Impulsen – ist häufig brüchig oder gar nicht bewusst spürbar. Und genau das macht die komplexe Traumatisierung so wirksam:
Sie betrifft nicht nur das Erleben von außen, sondern formt von innen heraus das, was wir für "normal" halten – in uns selbst, in Beziehungen, im Leben.

zwei hände, die sich einander annähern, aber nicht berühren können

Diagnosekriterien der komplexen PTBS (kPTBS)
 

Die komplexe posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS) wurde 2018 von der Weltgesundheitsorganisation offiziell in die internationale Klassifikation psychischer Störungen (ICD-11) aufgenommen. Sie beschreibt eine besondere Form von Traumafolgestörung, die entsteht, wenn ein Mensch über längere Zeit intensiven Belastungen ausgesetzt war – und keine Möglichkeit hatte, sich zu schützen oder Hilfe zu bekommen.

Oft beginnt die kPTBS in der frühen Kindheit – etwa durch emotionale Vernachlässigung, körperliche oder sexuelle Gewalt, Missbrauch in der Familie, durch suchtkranke oder psychisch kranke Eltern.
Was diese Erfahrungen verbindet:
Es gibt keinen sicheren Ort. Keine schützende Beziehung. Kein Gegenüber, das sagt: „Ich bin für dich da.“

Die Symptome der kPTBS sind vielschichtig und betreffen das gesamte Erleben – Körper, Gefühle, Beziehungen, Identität.
Laut ICD-11 müssen drei Hauptbereiche zusätzlich zu den klassischen PTBS-Symptomen erfüllt sein:
 

🌿 1. Störungen in der Emotionsregulation

Viele Betroffene erleben:

  • plötzliche, intensive Wutanfälle,

  • langanhaltende Gefühle von Scham oder innerer Leere,

  • Schwierigkeiten, Gefühle einzuordnen oder zu benennen (sog. Alexithymie),

  • starke Überforderung durch scheinbar „kleine“ Auslöser.

Oft werden diese Gefühle als „zu viel“ empfunden – oder gar nicht wahrgenommen, weil sie abgespalten wurden.


🌿 2. Tiefgreifende negative Selbstwahrnehmung

Ein zentraler Aspekt der kPTBS ist der erschütterte Selbstwert:
 

  • Betroffene erleben sich als „zu empfindlich“, „nicht liebenswert“ oder „schuld an allem“.

  • Viele glauben, sie müssten sich anpassen, leisten oder stark sein, um nicht verlassen zu werden.

  • Ein stabiles Gefühl von Identität fehlt oft völlig.


🌿 3. Schwierigkeiten in Beziehungen

Nähe und Bindung werden als unsicher, verwirrend oder gefährlich erlebt:
 

  • Viele Menschen mit kPTBS schwanken zwischen Rückzug und starker Abhängigkeit.

  • Vertrauen fällt schwer – oft sind alte Schutzmuster (z. B. Überanpassung, Kontrolle, Misstrauen) aktiv.

  • Intimität kann überfordern – oder wird verzweifelt gesucht, obwohl sie gleichzeitig Angst auslöst.


„kPTBS betrifft nicht nur das, was man erinnert – sondern das, wie man fühlt, denkt, liebt und lebt.“
 

Viele Menschen mit kPTBS wissen jahrelang nicht, was mit ihnen „nicht stimmt“. Sie suchen Hilfe wegen Depressionen, Wutanfällen, chronischer Erschöpfung, dissoziativen Zuständen oder Beziehungskrisen – und ahnen nicht, dass all diese Symptome ein gemeinsames Fundament haben: ein frühes Trauma, das nie gesehen und verstanden wurde. Deshalb ist es so wichtig, komplexe Traumafolgen zu erkennen – und nicht nur einzelne Symptome zu behandeln.
Die gute Nachricht ist: kPTBS ist behandelbar – wenn man den richtigen Weg wählt: behutsam, bindungsorientiert, gut begleitet.

Selbstwertprobleme, Affektdysregulation und Dissoziation
 

Viele Menschen mit komplexer Traumatisierung leben in einem inneren Zustand,
der kaum sichtbar – und doch tief belastend ist.

Sie wirken nach außen oft stark, leistungsfähig, kontrolliert.
Doch innerlich kämpfen sie mit Selbstzweifeln, einem ständigen Gefühl von „nicht genug sein“ und einem Nervensystem, das zwischen Überforderung und Erstarrung hin- und herspringt.
 

🌿 Selbstwertprobleme: Wenn man sich selbst nicht spürt

Ein zentrales Thema bei kPTBS ist das brüchige oder negative Selbstbild:

  • Viele Betroffene fühlen sich tief in sich wertlos – auch wenn sie beruflich oder äußerlich „funktionieren“.

  • Sätze wie „Ich bin falsch“, „Ich bin zu viel“ oder „Ich bin nichts wert“ laufen wie ein innerer Grundton mit.

  • Beziehungen werden oft zu Spiegeln dieser Unsicherheit – Nähe macht Angst, weil man „nicht genügen“ könnte.

Das Tragische:
Diese Glaubenssätze sind nicht „wahr“.
Sie sind Überlebensstrategien, gewachsen in einer Kindheit ohne Bestätigung, ohne Schutz, ohne echtes Gesehenwerden.
 

🌿 Affektdysregulation: Wenn Gefühle zu viel oder gar nicht spürbar sind

Viele Menschen mit kPTBS haben Schwierigkeiten, Gefühle angemessen wahrzunehmen oder auszudrücken:

  • Überwältigende Wut, die scheinbar „aus dem Nichts“ kommt

  • Tiefe Traurigkeit, die sich nicht fassen lässt

  • Plötzliche Panik oder „emotionale Überschwemmung“ durch Kleinigkeiten

  • Oder: innere Leere, Taubheit, das Gefühl, überhaupt nichts mehr zu empfinden

Diese Zustände sind kein Zeichen von Schwäche.
Sie zeigen, dass das Nervensystem einst zu viel aushalten musste – und heute noch keine sichere Regulation erlebt.
 

🌿 Dissoziation: Schutz durch Abschalten

Ein weiteres typisches Symptom ist Dissoziation – ein Zustand, in dem man sich von sich selbst oder der Welt losgelöst fühlt:

  • „Ich bin irgendwie nicht richtig da“

  • „Es fühlt sich an, als würde ich mir selbst zusehen“

  • „Plötzlich fehlt mir die Erinnerung an eine Situation“

  • „Ich funktioniere – aber ich spüre mich nicht“

Dissoziation war früher oft ein notwendiger Schutzmechanismus: Wenn etwas zu bedrohlich war, um gefühlt zu werden, hat sich das System abgeschaltet. Heute geschieht das reflexhaft – auch in Situationen, die objektiv harmlos sind.


„Wenn Gefühle zu groß waren, um sie damals zu fühlen, bleiben sie oft lange ohne Sprache – und zeigen sich als Überforderung, Rückzug oder Erstarrung.“
 

Diese inneren Zustände führen nicht selten dazu, dass Betroffene glauben, sie seien „verrückt“ oder „kaputt“.
Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Diese Muster zeigen, wie überlebensklug das System war – und wie sehr es sich nach Sicherheit sehnt.

Hoffnung: Auch komplexe Traumata können heilen

Heilung heißt nicht, die Vergangenheit zu löschen. Es bedeutet:

  • Die Überlebensstrategien zu verstehen („Du musstest dich anpassen!“)

  • Neue Werkzeuge zu lernen („Wie reguliere ich meine Gefühle?“)

  • Sichere Beziehungen zuzulassen – sei es in Therapie, Freundschaften oder Partnerschaften

„Früher dachte ich, ich bin kaputt. Heute weiß ich: Ich habe gelernt, in der Hölle zu überleben – und kann jetzt langsam auftauen.“
(Markus, 40, nach 3 Jahren Therapie)

Komplexe Traumafolgen heilen nicht über Nacht.

Viele Menschen, die unter kPTBS leiden, haben eine lange Geschichte hinter sich: Versuche, „sich zusammenzureißen“, Therapien, die zu schnell an schmerzhafte Themen gingen, oder das Gefühl, dass „nichts wirklich hilft“. Das liegt nicht daran, dass sie „untherapierbar“ wären – sondern daran, dass komplexe Traumata einen anderen Weg der Heilung brauchen.


🌿 Was in der Behandlung bei komplexer Traumatisierung wichtig ist:
 

1. Schaffung von Sicherheit

Bevor es um „Aufarbeitung“ geht, braucht es einen Raum, der sich wirklich sicher anfühlt:
einen Ort, an dem Überforderung vermieden wird, das eigene Tempo respektiert wird und Bindung neu erfahren werden darf.

✨ Ohne erlebte Sicherheit ist keine nachhaltige Heilung möglich.
 

2. Arbeit mit dem Nervensystem

Komplexe Traumatisierung betrifft nicht nur Gedanken oder Erinnerungen – sie prägt das Nervensystem selbst.

Deshalb sind Methoden hilfreich, die den Körper mit einbeziehen:

  • Achtsamkeit für Körpersignale,

  • sanfte Übungen zur Selbstregulation,

  • langsames Wiedererleben von Sicherheit im Hier und Jetzt.

✨ Ziel ist es, Übererregung und Erstarrung schrittweise zu regulieren.
 

3. Arbeit an Selbstwert und inneren Anteilen

Viele Betroffene tragen verletzte innere Anteile in sich: Kindheitsbilder, Stimmen der Scham oder Schuld, eingefrorene Gefühle.

Eine bindungsorientierte Traumatherapie hilft dabei:

  • diese Anteile behutsam kennenzulernen,

  • ihnen mit Mitgefühl zu begegnen,

  • neue innere Beziehungen aufzubauen.

✨ So kann aus innerer Zerrissenheit allmählich innere Verbundenheit wachsen.
 

4. Würdigung der Überlebensstrategien

Was heute Probleme macht, war früher oft Rettung: Dissoziation, Rückzug, Anpassung, Wut.

Heilung bedeutet nicht, diese Muster zu „bekämpfen“ – sondern zu verstehen, warum sie entstanden sind, und neue Wege zu eröffnen.

✨ Die alte Überlebenslogik wird gewürdigt – und sanft in neue Lebensmöglichkeiten verwandelt.


„Was in Beziehungen verletzt wurde, darf auch in Beziehungen heilen – im eigenen Tempo, mit wachsendem Vertrauen.“
 

🌸 Typische Ziele der Behandlung bei kPTBS:

  • Hilfe bei starken Gefühlen und emotionaler Überflutung

  • Aufbau eines stabileren Selbstwertgefühls

  • Verbesserung der Beziehungsfähigkeit ohne Angst oder Rückzug

  • Linderung von Dissoziationszuständen

  • Entwicklung von Selbstmitgefühl und innerer Stabilität

Mut zur Heilung: Was du heute verändern kannst
 

Vielleicht hast du beim Lesen gespürt:
Komplexe Traumatisierung mag tiefe Spuren hinterlassen haben – doch sie bestimmt nicht dein Schicksal.

Heilung ist möglich.
Nicht indem wir die Vergangenheit ungeschehen machen, sondern indem wir heute neue Erfahrungen schaffen:
Erfahrungen von Sicherheit, Selbstannahme, Verbundenheit.


„Dein Nervensystem kann lernen, dass die Welt sicherer ist, als sie einst schien. Und du selbst bist Teil dieser neuen Sicherheit.“
 

🌿 Erste kleine Schritte auf dem Weg:

  • Anerkennen, was war:
    Du musst nichts "kleinreden". Deine Erfahrungen waren real – und sie verdienen Mitgefühl.

  • Verstehen, wie Schutzmuster wirken:
    Wut, Rückzug, Taubheit – all das hatte einmal einen Sinn. Heute darfst du neue Wege entdecken.

  • Sich Unterstützung holen:
    Komplexe Traumatisierung muss nicht allein getragen werden. Eine bindungsorientierte Traumatherapie kann dir helfen, alte Wunden behutsam zu heilen.

  • Geduld mit dir selbst üben:
    Heilung ist ein Prozess, kein Ziel. Manchmal wächst sie unsichtbar – und irgendwann spürbar.

  • Anfangen, neue innere Erfahrungen zu machen:
    Kleine Momente von Sicherheit, von Selbstfreundlichkeit, von echter Verbundenheit sind Samen für Veränderung.

🌸 Und wenn du spürst:

  • dass du dich oft leer, überfordert oder „falsch“ fühlst,

  • dass du in Beziehungen immer wieder dieselben schmerzhaften Muster erlebst,

  • dass dein Körper reagiert, auch wenn dein Kopf „nichts Schlimmes“ erkennt –

dann darfst du wissen:
Du bist nicht „zu empfindlich“.
Du bist nicht „kaputt“.
Du bist jemand, der tiefe Überlebenskunst entwickelt hat –
und der heute neue Wege gehen darf.

🌿
Möchtest du mehr erfahren, wie bindungsorientierte Traumatherapie dich auf diesem Weg begleiten kann?


➔ Auf meiner Seite zu [Mein Ansatz in der Traumatherapie] findest du weitere Informationen.

Manchmal hinterlassen Erfahrungen Spuren, die wir lange nicht in Worte fassen können.
Aber das bedeutet nicht, dass wir verloren sind.

Die Spuren, die komplexe Traumatisierung hinterlässt, erzählen nicht nur von Schmerz –
sie erzählen auch von Überlebenskraft, von einer tiefen Fähigkeit, weiterzugehen, selbst wenn es schwer war.

Heilung bedeutet nicht, alles ungeschehen zu machen.
Heilung bedeutet, wieder Verbindung zu finden –
zu sich selbst, zu anderen, zum eigenen inneren Kompass.

Und dieser Weg darf klein beginnen.
In einem Moment von Freundlichkeit dir selbst gegenüber.
In einer Entscheidung, Unterstützung anzunehmen.
In einem Atemzug, der sagt:
„Ich darf hier sein.“


 

6 häufig gestellte Fragen und kleine Anregungen für dich

1. Woran erkenne ich, ob ich eine kPTBS habe?

Antwort:
Eine komplexe PTBS zeigt sich oft in wiederkehrenden Mustern, die das tägliche Leben prägen:

  • Emotionale Achterbahn: Sie erleben Gefühlsausbrüche (z. B. Wut, Panik), die unverhältnismäßig zur Situation erscheinen. Beispiel: Ein harmloser Streit mit dem Partner löst eine stundenlange Schockstarre aus.

  • Körperliche Symptome: Chronische Schmerzen, Magen-Darm-Probleme oder Erschöpfung – ohne medizinische Ursache.

  • Beziehungsängste: Sie sehnen sich nach Nähe, aber sobald jemand Ihnen nahekommt, flüchten Sie oder sabotieren die Beziehung.

  • Dissoziation: Sie „funktionieren“ im Alltag, fühlen sich aber wie ein Roboter – als wären Sie nicht wirklich präsent.

Was tun?

  • Machen Sie den kPTBS-Selbsttest der Deutschen Traumastiftung.

  • Dokumentieren Sie einen Monat lang: „Wann fühle ich mich überfordert? Was triggert mich?“

  • Wichtig: Eine Diagnose sollte immer durch eine traumaerfahrene Fachperson erfolgen.
     

2. Was hilft bei Dissoziationen?

Antwort:
Dissoziation ist eine Überlebensstrategie – das Gehirn „schaltet ab“, um unerträgliche Gefühle zu vermeiden. Akuthilfe:

Techniken zur Erdung („Grounding“):

  • Kältereiz: Halten Sie einen Eiswürfel in der Hand oder spritzen Sie kaltes Wasser ins Gesicht.

  • 5-4-3-2-1-Methode: Benennen Sie laut:
    5 Dinge, die Sie sehen → 4, die Sie hören → 3, die Sie spüren → 2, die Sie riechen → 1, die Sie schmecken.

  • Sicherer Ort: Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich einen Ort vor, an dem Sie sich geborgen fühlen (z. B. eine Waldlichtung). Malen Sie ihn detailliert aus.

Langfristig:

  • Traumasensibles Yoga: Verbessert die Körperwahrnehmung.

  • Tipp von Janina Fisher: „Sagen Sie innerlich: ‚Ich bin erwachsen. Ich bin sicher.‘ – um das Hier und Jetzt zu verankern.“


3. Wie finde ich die richtige Therapeut:in für komplexe Traumata?

Antwort:
Die Therapiebeziehung ist bei kPTBS entscheidend – suchen Sie jemanden, der:

  • Zertifizierungen hat: Somatic Experiencing®, EMDR, Schema- oder Gestalttherapie.

  • Stabilisierung vor Konfrontation priorisiert: Fragestellungen wie „Wie gehen Sie mit Flashbacks um?“ zeigen, ob die Methode passt.

  • Bindungsorientiert arbeitet: Die Therapeut:in sollte einfühlsam, transparent und verlässlich sein.

Praktische Schritte:

  • Listen nutzen: Die DeGPT oder EMDRIA bieten Therapeut:innen-Verzeichnisse.

  • Probesitzungen: Vereinbaren Sie 1–2 Kennenlerngespräche. Fragen Sie: „Haben Sie Erfahrung mit Entwicklungstrauma?“

  • Online-Optionen: Plattformen wie BetterHelp bieten spezialisierte Traumatherapie.
     

4. Kann ich kPTBS auch ohne Therapie bewältigen?

Antwort:
Erste Schritte sind allein möglich – aber Heilung braucht Beziehung. Starten Sie mit:

Selbsthilfe-Strategien:

  • Tagebuch führen: Schreiben Sie täglich 3 Sätze: „Heute habe ich gespürt…“, „Was mir half, war…“.

  • Ressourcen aktivieren: Was gab Ihnen als Kind Trost? (Musik, Natur, Tiere). Bauen Sie dies in den Alltag ein.

  • Bücher & Apps:

    • „Der Körper kennt den Weg“ (Peter Levine) – erklärt Körperübungen für Sicherheit.

    • App Calm Harm: Tools bei Selbstverletzungsimpulsen.

Grenzen der Selbsthilfe:
Trauma entstand in Beziehung – Heilung geschieht auch in Beziehung. Selbsthilfegruppen (z. B. bei NAOS) können Brücken zur Therapie sein.




 

5. Wie erkläre ich meiner Partner:in meine kPTBS, ohne sie zu überfordern?

Antwort:
Offenheit ist wichtig – aber dosiert. So gelingt es:

Gespräch vorbereiten:

  • Einfache Erklärung: „Ich habe als Kind gelernt, dass die Welt unsicher ist. Manchmal reagiere ich deshalb stärker, als es die Situation braucht.“

  • Konkrete Bitten:

    • „Ich brauche manchmal Pausen, um runterzukommen – das hat nichts mit dir zu tun.“

    • „Mir hilft es, wenn wir nach Konflikten gemeinsam beruhigende Rituale haben (z. B. Tee trinken).“

Für Partner:innen:

  • Buchtipp: „Wenn Liebe allein nicht reicht“ (Jessica Bühler) – erklärt, wie Angehörige unterstützen können.

  • Gemeinsame Ressourcen: Machen Sie einen „Notfallplan“ mit Beruhigungsstrategien, die für beide funktionieren.
     

6. Verbessert sich der Selbstwert mit der Zeit?

Antwort:
Ja – aber es ist ein Prozess. So stärken Sie Ihren Selbstwert:

Übungen für mehr Selbstakzeptanz:

  • Innerer Dialog: Fragen Sie sich: „Was würde ich meinem besten Freund in dieser Situation sagen?“ – und wenden Sie es auf sich an.

  • Stärkenarchiv: Schreiben Sie auf Zettel, was Sie gut können (z. B. „Ich bin einfühlsam“, „Ich kann kochen“) – sammeln Sie sie in einer Box.

  • Komplimente annehmen: Üben Sie, „Danke“ zu sagen, statt abzuwinken (z. B. bei „Das Kleid steht dir toll!“).

Warum es Zeit braucht:
Ein geringer Selbstwert entstand über Jahre – er verändert sich nicht über Nacht. Messbare Fortschritte:

  • Sie können leichter „Nein“ sagen.

  • Sie spüren öfter: „Ich verdiene Respekt.“

  • Sie erkennen Trigger früher und handeln, statt zu erstarren.

Grundlagenwerke & Ratgeber


1. Pete Walker: „Wenn der Tiger erwacht – Überleben mit komplexer PTBS“

  • Inhalt: Walker, selbst Betroffener, erklärt Überlebensstrategien wie Dissoziation oder Überanpassung. Sein Fokus: Selbstmitgefühl entwickeln und den „inneren Kritiker“ besänftigen.

  • Warum lesen? Einfache Sprache, viele Alltagsbeispiele.

  • Link: Thalia
     

2. Arielle Schwartz: „Das komplexe PTSD-Arbeitsbuch“

  • Inhalt: Schritt-für-Schritt-Übungen zur Stabilisierung, Affektregulation und Trauerarbeit. Integriert Achtsamkeit, Yoga und kognitive Ansätze.

  • Warum lesen? Praxisorientiert, mit Download-Materialien.

  • Link: Buchhandlung.de
     

3. Janina Fisher: „Verletzte Kindheit heilen – Trauma-Überlebende begleiten“

  • Inhalt: Fishers „Teilearbeit“ hilft, innere Konflikte (z. B. „Das ängstliche Kind“ vs. „Der beschützende Erwachsene“) zu verstehen.

  • Warum lesen? Ideal für Therapeut:innen und Betroffene, die tiefer in die Traumaarbeit einsteigen möchten.

  • Link: Amazon

     

Workbooks & Praxisbücher
 

4. „Überlebenskunst – Ein Übungsbuch für komplexe Traumata“ (Pete Walker)

  • Inhalt: Tagebuchvorlagen, Affirmationen und konkrete Schritte, um Flashbacks zu reduzieren.

  • Highlight: Übungen zur Wut als Heilungsressource.

  • Link: Bücher.de
     

5. Arielle Schwartz: „Die Traumatherapie-Hilfe – 50 Übungen für Stabilität und Selbstfürsorge“

  • Inhalt: Kurze, alltagstaugliche Tools – von Atemtechniken bis zur Arbeit mit dem „sicheren Ort“.

  • Für wen? Menschen, die erstmals Zugang zu Trauma-Übungen suchen.

  • Link: Weltbild
     

Körperorientierte Ansätze
 

6. Janina Fisher: „Der Körper als Kompass – Traumaspuren im Körper heilen“

  • Inhalt: Wie sich Trauma in Verspannungen, Schmerzen oder Erstarrung zeigt – und wie der Körper zur Ressource wird.

  • Warum lesen? Verbindet Neurobiologie und praktische Körperübungen.

  • Link: Hugendubel
     

Für Angehörige & Partner:innen
 

7. „Leben mit komplex traumatisierten Menschen“ (Arielle Schwartz)

  • Inhalt: Wie Angehörige unterstützen, ohne sich selbst zu verlieren. Mit Gesprächsleitfäden und Grenzensetzung.

  • Tipp: Das Kapitel „Eigene Trigger erkennen“ ist Gold wert.

  • Link: Osiander
     

Warum diese Bücher?
 

  • Pete Walker: Fokus auf Selbsthilfe und Entstigmatisierung von Überlebensstrategien.

  • Arielle Schwartz: Kombiniert Körper und Psyche – ideal bei Dissoziation und Selbstwertproblemen.

  • Janina Fisher: Teilearbeit hilft, innere Zerrissenheit zu verstehen.

💡 Tipp: Viele Bücher gibt es auch als Hörbuch (z. B. bei Audible) – perfekt für Tage, an denen Lesen zu anstrengend ist.

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