top of page

ADHS und soziale Erschöpfung - Wenn Rückzug kein Rückschritt ist

  • sibyllefuenfstueck
  • 11. Juli
  • 11 Min. Lesezeit

Manchmal wirkt es wie Desinteresse, dabei ist es Überforderung. Wer sich zurückzieht, schützt sich oft – vor Reizflut, Schuldgefühlen oder dem Gefühl, nicht zu genügen.


Fensterbank mit kleiner Topfpflanze und lichtem Vorhang, Blick aus dem Inneren eines Zimmers nach draußen. Symbolisiert Rückzug, Selbstfürsorge und stille Regeneration – besonders im Kontext von ADHS und sozialer Erschöpfung.
Rückzug bedeutet oft, sich selbst Raum zu geben - besonders bei ADHS und sozialer Erschöpfung. Ein stiller Moment, in dem inneres Wachstum beginnt.

Du sehnst dich nach Nähe – und brauchst danach Tage, um dich zu erholen.


Ein Abend mit Freund:innen. Eine Familienfeier. Oder nur der Elternabend in der Schule. Es ist nichts Dramatisches passiert. Du warst freundlich, ansprechbar, hast dich eingebracht. Vielleicht hast du sogar das Gefühl gehabt, dich „gut geschlagen“ zu haben.


Aber am nächsten Morgen – oder schon auf dem Heimweg – kommt sie:

Diese Leere. Oder ein dumpfes Rauschen im Kopf.

Manchmal bist du gereizt, überreizt, innerlich wie elektrisiert.

Manchmal fühlst du dich wie in Watte gepackt – benommen, verwirrt, ohne klaren Gedanken.

Du möchtest nur noch Ruhe. Und kannst gleichzeitig nicht mehr sortieren, was genau eigentlich so anstrengend war.


Wenn du nach sozialen Kontakten tagelang nicht wieder „hochkommst“, bist du nicht überempfindlich.

Du hast vielleicht ADHS – und dein Nervensystem braucht andere Wege, um mit sozialer Reizflut umzugehen.


Ich schreibe diesen Text als Therapeutin – und auch als jemand, die diese Form von Erschöpfung selbst kennt. Nicht als Schwäche, sondern als Nervensystem, das viel mitbekommt. Und irgendwann genug hat.


Wenn soziale Kontakte dich erschöpfen statt stärken


Für viele mit ADHS ist Nähe kein Auftanken – sondern ein Reizfeuerwerk. Ihr Nervensystem arbeitet im Kontakt auf Hochtouren, lange bevor sie es selbst merken.


Soziale Begegnungen gelten oft als bereichernd, verbindend, stärkend. Für viele Menschen mit ADHS ist das Gegenteil der Fall. Sie gehen in Kontakt – und verlieren darin Energie. Nicht, weil sie Menschen nicht mögen. Sondern weil ihr Nervensystem im sozialen Miteinander in Dauerbetrieb gerät.


Was viele mit ADHS still durchleben – aber kaum jemand versteht


Viele Menschen mit ADHS wirken nach außen kommunikativ, aufmerksam, manchmal sogar extrovertiert. Was dabei übersehen wird: Soziale Situationen bedeuten für sie oft Hochleistung. Nicht im Sinne von Smalltalk oder Höflichkeit – sondern auf der Ebene innerer Verarbeitung.


Ich erlebe das in meiner Praxis oft – und auch in mir selbst.

Dieses ständige innere Mitdenken, Spiegeln, Scannen:

Was meint der andere wirklich? Ist das Ironie? Muss ich jetzt was sagen? Ist das zu viel? Komme ich komisch rüber?


Das Gehirn filtert kaum. Jeder Blick, jede Stimme, jede Stimmung kommt ungefiltert an.

Während andere sich unterhalten, versucht man innerlich, nicht abzuheben.

Nicht zu viele Nebengeräusche wahrzunehmen. Nicht auf die flackernde Lampe im Hintergrund zu achten. Nicht abzuschweifen. Und nicht aufzufallen.


Nach außen ist man „voll da“.

Nach innen ist man längst erschöpft.


Was viele Betroffene still durchleben – oft mit Scham oder Selbstzweifeln – ist eine Form von sozialer Reizüberflutung, die kaum jemand ernst nimmt. Und genau deshalb so schwer zu greifen ist.



„Ich war da – aber eigentlich war ich schon im Shutdown.“

„Ich hab alles mitbekommen – und deshalb war es zu viel.“

„Ich kann Nähe nicht dosieren. Entweder zu viel oder gar nicht.“


Es ist keine Unlust. Kein Desinteresse. Keine soziale Phobie.

Es ist das Nervensystem – und sein verzweifelter Versuch, mit einem Raum voller Eindrücke, Subtexte und Erwartungen klarzukommen.


Warum soziale Interaktion für Menschen mit ADHS so herausfordernd ist


Warum soziale Kontakte bei ADHS oft erschöpfend wirken - auch wenn Betroffene dabei freundlich, zugewandt und funktional erscheinen


Du bist aufmerksam, herzlich, lachst an den richtigen Stellen.

Aber innerlich läuft ein Dauerprogramm, das niemand sieht – und das dir Energie raubt.


Soziale Situationen sind für viele Menschen mit ADHS kein Ort der Erholung, sondern der Anstrengung. Nicht, weil sie unsozial wären. Sondern weil ihr Gehirn alles gleichzeitig wahrnimmt – und alles gleichzeitig verarbeiten will.


Ich kenne das von meinen Patient:innen – und auch von mir selbst.

Was nach außen wie Leichtigkeit wirkt, ist oft eine Form von innerer Hochleistung.


Reizoffenheit – Wenn alles gleichzeitig ankommt


Menschen mit ADHS nehmen Reize oft intensiver und ungefilterter wahr.


Das bedeutet:

  • Gespräche, Hintergrundgeräusche, Lichtquellen, Bewegungen – alles trifft gleichzeitig ein.

  • Es gibt keine klare Priorisierung: Die Mimik des Gegenübers ist genauso präsent wie das Ticken der Uhr.

  • Das Gehirn versucht permanent, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen – ein Prozess, der bei ADHS mehr Energie kostet als bei neurotypischen Menschen.



🔍 Studien zeigen, dass bei ADHS vor allem der Thalamus – das „Tor zum Bewusstsein“ – weniger effektiv filtert. Dadurch gelangen mehr Eindrücke ins Arbeitsgedächtnis. Für Betroffene heißt das: Schneller überladen, schneller erschöpft.


Mentales Multitasking – Das unsichtbare Hochleistungsprogramm


Ein einfaches Gespräch bedeutet für das ADHS-Gehirn:


  • zuhören

  • gleichzeitig den Inhalt verstehen

  • passende Antworten formulieren

  • abwarten, bis man mit dem Sprechen an der Reihe ist

  • auf Tonfall und Körpersprache achten

  • die eigene Mimik und Stimme bewusst steuern

  • Themenübergänge erkennen und mitgehen


und nebenbei mit sich selbst verhandeln: „Bin ich zu sprunghaft? Habe ich das gerade falsch gesagt?“

Was bei anderen unbewusst abläuft, geschieht hier mit voller kognitiver Beteiligung.

Und das auf Dauer – oft auch nach dem Gespräch, wenn man alles noch einmal durchdenkt.


Nonverbale Signale – Wenn Körpersprache nicht automatisch lesbar ist


Viele Menschen mit ADHS verarbeiten nonverbale Hinweise (z. B. Mikro-Mimik, Tonlage, Pausen) weniger automatisch – besonders in stressigen Situationen.


Das bedeutet:

  • Ironie, Unsicherheit oder Unstimmigkeiten werden zwar wahrgenommen, aber nicht intuitiv eingeordnet.

  • Es braucht bewusste Anstrengung, um „mitzulesen“, was andere eventuell fühlen oder meinen.

  • Das erzeugt sozialen Stress: „Habe ich etwas übersehen? Komme ich gerade komisch rüber?“


🧠 Das Gehirn ist also gleichzeitig mit der Inhaltsverarbeitung und der sozialen Navigation beschäftigt – ein mentaler Doppelauftrag.


Selbstüberwachung und RSD – Wenn der innere Regisseur nie Pause macht


Manchmal ist es nicht der Moment selbst, der erschöpft - sondern das ständige Mitdenken. Die Angst, etwas Falsches zu sagen. Die Sorge, wieder "zu viel" gewesen zu sein. Das Gefühl der permanenten Selbstprüfung. Wer ständig sich selbst beobachtet, kommt kaum dazu, einfach da zu sein.


Viele Menschen mit ADHS erleben soziale Interaktionen nicht nur als reizintensiv, sondern auch als emotional riskant. Wer in der Vergangenheit häufig missverstanden, kritisiert oder ausgeschlossen wurde, entwickelt feine Antennen – nicht für echte Verbindung, sondern für mögliche Zurückweisung.


Diese ständige innere Alarmbereitschaft führt zu einer unbewussten Selbstüberwachung: Wie wir wirken, was wir sagen, ob wir „zu viel“ oder „zu anders“ sind. Nicht selten entsteht daraus ein Gefühl grundlegender Verunsicherung: Ich bin irgendwie falsch.


Ein zentraler Aspekt dabei ist die sogenannte Rejection Sensitivity Dysphoria (RSD) – eine extreme Empfindlichkeit gegenüber (vermuteter) Ablehnung, die viele ADHS-Betroffene kennen. Dabei reicht oft schon ein flüchtiger Blick, ein nicht zurückerwiderter Gruß oder ein verändertes Stimmmuster, um alte Gefühle von Scham, Nicht-genügen oder emotionaler Isolation zu reaktivieren.


Wer so geprägt ist, betritt soziale Räume nicht mit Neugier, sondern mit innerem Hochspannungsmodus. Die Angst, wieder „anzuecken“, führt zu ständiger Selbstkorrektur – oft auf Kosten echter Präsenz.


Und während das Umfeld vielleicht nur eine leicht stille, höflich zugewandte Person sieht, kämpft innen ein Nervensystem mit alten Geschichten.


🟣 Als Therapeutin erlebe ich immer wieder, wie sehr Menschen mit ADHS sozial auf Hochspannung leben – nicht, weil sie unsicher sind, sondern weil sie gelernt haben, dass Anderssein mit Ablehnung einhergeht. Und als Betroffene kenne ich dieses Gefühl gut: Die Sorge, ungewollt wieder „zu viel“ zu sein, auch wenn man längst gelernt hat, sich anzupassen.



Warum Menschen mit ADHS in Gesellschaft funktionieren - und später zusammenbrechen


Soziale Maske aufrechterhalten - bis nichts mehr geht


Was nach Anpassung aussieht, ist oft das Ergebnis tiefer Prägungen und neurologischer Überforderung. Hinter dem scheinbaren Funktionieren verbirgt sich eine Überlebensstrategie – nicht selten auf Kosten der eigenen Energie.



Manchmal merkt man es erst ganz leise. Ein kleines Stolpern im Inneren, während außen noch alles läuft. Du lächelst, hörst zu, reagierst – und doch spürst du, dass dein System langsam kippt.

Es sind feine Signale, kaum wahrnehmbar. Aber sie sind da.


Diese Anzeichen helfen dir, sie früher zu erkennen:


Man sieht es uns oft nicht an.

Während wir zuhören, lachen, uns einbringen, läuft innerlich ein Hochleistungsprogramm:

Gedanken sortieren, Blicke deuten, Reaktionen anpassen.


Besonders Menschen mit ADHS und/oder Bindungstrauma lernen früh, sich anzupassen. Sie beobachten sehr genau, wie sie sein müssen, um dazuzugehören – und versuchen, sich diesem Bild anzunähern.

Das wirkt sozial kompetent, ist aber oft ein Kraftakt.


🔹 Der Begriff „Social Masking“ beschreibt dieses Phänomen gut:

Man zeigt ein angepasstes, funktionierendes Äußeres – obwohl innerlich längst Erschöpfung, Überreizung oder Selbstzweifel toben.


🔹 Der innere Kipppunkt:

Während das Umfeld „nichts merkt“, beginnt das Nervensystem längst zu kollabieren.

Die Reize kommen ungefiltert an, das Gedankenkarussell dreht sich schneller, innere Alarmbereitschaft steigt.


Und trotzdem funktionieren wir weiter.

Denn oft haben wir nie gelernt, rechtzeitig Stopp zu sagen oder unsere Grenzen überhaupt zu spüren.


„Ich merke das manchmal erst, wenn ich schon nach Hause gehe – wie sehr ich über meine Kräfte gegangen bin.“

– persönliche Erfahrung & Patient:innenstimme


Vielleicht kennst du das auch: Im Moment selbst wirkt vieles noch irgendwie machbar. Du funktionierst, bist ansprechbar, lachst sogar mit. Doch dein Körper sendet längst andere Signale – du spürst sie nur nicht deutlich genug.

Erst später, wenn du allein bist, kommen sie durch: die Erschöpfung, die Reizüberflutung, das Gefühl, innerlich leer zu sein.


Warum Menschen mit ADHS soziale Erschöpfung oft erst verspätet wahrnehmen


Viele Menschen mit ADHS oder hoher Sensitivität merken erst im Nachhinein, wie viel sie eine soziale Situation tatsächlich gekostet hat. Während des Gesprächs wirken sie ruhig, präsent oder sogar aktiv – und spüren doch kaum, wie sehr sie sich selbst dabei verlieren. Warum passiert das so oft? Und was läuft da im Nervensystem eigentlich ab?



Was passiert da eigentlich - wenn du funktionierst, obwohl du längst offline bist?


Abstraktes Bild mit vielen bunten Silhouetten in verschiedenen Farben, die übereinandergelegt und leicht verschoben sind. Die überlagernden Formen vermitteln ein Gefühl von visuellem Chaos und Reizüberflutung. Symbolisch für innere Überforderung, Dissoziation oder sensorischen Stress.
Wenn die Welt zu laut wird: Reizüberflutung bei ADHS kann sich wie innerer Lärm anfühlen - bunt, schrill, zu viel. Rückzug ist oft die einzige Möglichkeit, das Nervensystem zu regulieren.

Viele Betroffene berichten, dass sie soziale Situationen zunächst gut meistern – und den Einbruch erst später spüren: auf dem Heimweg, beim Schuhe-Ausziehen, im stillen Zimmer. Dieses Phänomen ist nicht ungewöhnlich, sondern lässt sich auch neurobiologisch gut erklären.


In herausfordernden sozialen Momenten läuft bei Menschen mit ADHS oft ein inneres Hochleistungsprogramm ab: Aufmerksamkeit bündeln, Reize verarbeiten, Gespräche überblicken, Körpersprache deuten, Pausen einschätzen, dabei spontan und sozial flexibel bleiben. All das bindet enorm viel Energie – ohne dass wir es bewusst merken.


Die Reizfilter im Gehirn sind bei ADHS häufig durchlässiger. Gleichzeitig ist das Grund-Arousal erhöht, also das Maß innerer Aktivierung. Das Nervensystem ist dadurch dauerhaft auf Sendung – bereit für Aktion, aber auch anfälliger für Übersteuerung. Wenn es zu viel wird, greift eine Schutzreaktion: Das autonome Nervensystem zieht die Notbremse und schaltet in einen Rückzugsmodus.


Die Polyvagal-Theorie erklärt diesen Mechanismus anschaulich: Wenn der „soziale Vagus“ überfordert ist – der Teil des Nervensystems, der soziale Verbindung und Regulation unterstützt – übernimmt der evolutionär ältere Teil, der sogenannte dorsale Vagus. Das führt zu einem Zustand, den viele als Abschalten erleben: Der Herzschlag verlangsamt sich, die Muskelspannung sinkt, die kognitiven Funktionen werden gedrosselt. Gedanken reißen ab, innere Klarheit geht verloren.


Viele beschreiben das als Wattegefühl im Kopf, als ein Gefühl, sich selbst nicht mehr richtig zu spüren oder wie betäubt zu funktionieren. Man könnte sagen: Es ist, als stünde man mitten in einer überfüllten, lauten Umgebung – mit unsichtbaren Kopfhörern, auf denen Heavy Metal läuft. Und gleichzeitig spürst du dich selbst nicht mehr.


Dieses Erleben ist zwar nicht identisch mit einer klassischen Dissoziation, aber es ist ihr verwandt: ein dissoziativer Schutzmechanismus, der vor Reizüberflutung, emotionaler Bedrohung oder Überanstrengung schützt. Besonders Menschen mit ADHS und gleichzeitigem Bindungs- oder Entwicklungstrauma erleben diesen Umschaltmoment häufiger und intensiver – weil ihr System gelernt hat, sich blitzschnell zurückzuziehen, um nicht unterzugehen.


In der Praxis äußert sich das oft so: Du kannst nicht mehr klar denken, weißt nicht mehr, was du eigentlich sagen oder tun wolltest, hast keinen Zugang mehr zu deinem inneren Erwachsenen – und funktionierst trotzdem weiter. Eine paradoxe Situation, die sich im Außen oft souverän darstellt, aber innerlich einen hohen Preis hat.


Wenn du solche Erfahrungen machst: Du bist nicht falsch. Dein Körper, dein Nervensystem und dein gesamter Organismus haben gelernt, dich zu schützen. Der erste Schritt ist, dieses Muster zu erkennen – und es mit der Zeit zu wandeln. Therapie kann dabei helfen, diese Signale früher wahrzunehmen, dich selbst inmitten sozialer Situationen besser zu spüren und den Druck des Funktionierens allmählich zu lösen.



Was wirklich hilft - Selbstfürsorge nach sozialen Kontakten


Kleine Veränderungen nach sozialen Treffen können einen großen Unterschied machen – wenn du deinem Nervensystem bewusst hilfst, wieder in den Ruhemodus zu finden.


Manchmal ist der Rückzug danach keine Schwäche, sondern ein Akt der Rettung.

Dein Nervensystem war im Dauereinsatz: präsent sein, reagieren, funktionieren. Selbst wenn der Abend schön war – du spürst, wie deine Systeme übersteuert laufen.

Diese Unruhe, das innere Überdrehtsein, das Nicht-in-den-Körper-Kommen – all das sind Zeichen dafür, dass du jetzt mehr brauchst als nur Ruhe. Du brauchst bewusste Regulation.

Hier findest du konkrete Schritte, die dir helfen können, wieder bei dir selbst anzukommen.


Schritt-für-Schritt: Was du nach einem sozialen Kontakt für dein Nervensystem tun kannst


Wenn dein System so lange auf Hochspannung gelaufen ist, kann der Umschwung in die Erschöpfung sich leer, kalt oder verwirrend anfühlen. Vielleicht überrascht dich die Intensität – gerade, wenn du vorher noch einigermaßen „funktioniert“ hast. Genau deshalb ist dieser Moment so entscheidend. Jetzt geht es nicht mehr darum, weiterzuleisten oder dich zusammenzureißen, sondern deinem Körper zuzuhören – und dir selbst innerlich beizustehen.


Viele neurodivergente Menschen haben gelernt, über ihre Belastungsgrenzen hinwegzugehen, ohne sie bewusst zu bemerken. Der Weg in die Überforderung geschieht oft schleichend – der Rückweg braucht darum bewusste Aufmerksamkeit. Selbstfürsorge beginnt genau hier: nicht erst, wenn du zusammenbrichst, sondern in dem Moment, in dem du merkst, dass du dich von dir selbst entfernst.


Was du brauchst, ist nicht zwingend Ruhe im Sinne von Stille oder Alleinsein. Du brauchst Regeneration auf deine Weise. Das kann bedeuten, mit einer warmen Stimme in dir selbst zu sprechen, deinen Körper zu bewegen, in den Kontakt mit einer sicheren Person zu gehen – oder dich durch sanfte Routinen zu stabilisieren. Selbstfürsorge ist kein Luxus. Sie ist ein Reparaturprozess für ein System, das in sozialen Kontexten oft über seine Kapazität hinaus gearbeitet hat.


Es geht nicht um Rückzug im Sinne von „aussteigen“ – sondern um Rückbindung an dich selbst.



Langfristige Strategien für mehr soziale Resilienz


Langfristige Selbstfürsorge beginnt nicht erst nach dem Rückzug – sondern schon davor. Mit klugen Routinen, bewusster Planung und liebevoller Begrenzung kannst du dein Nervensystem dauerhaft entlasten.


Manchmal wirkt es fast wie ein Widerspruch: Menschen mit ADHS sind oft tief empathisch, kreativ, hochreflektiert – und gleichzeitig unfassbar erschöpft nach sozialen Begegnungen. Der Schlüssel liegt nicht nur in der Reizoffenheit, sondern auch in der fehlenden Selbstabgrenzung, dem ständigen inneren Monitoring und einer über Jahre gewachsenen Anpassungsleistung.


Selbstfürsorge bedeutet hier mehr als „Pause machen“. Es geht darum, das eigene Nervensystem ernst zu nehmen – und gezielt Strategien zu entwickeln, die nicht nur Symptome lindern, sondern auch langfristig Resilienz aufbauen. Diese sieben Bausteine haben sich in meiner Praxis, aber auch im eigenen Leben, als besonders hilfreich erwiesen.


Resilienzbausteine für ADHS-Gehirne





Was du anderen über dich erzählen kannst - damit Rückzug kein Bruch wird


Du musst nicht alles erklären – aber ein kleiner Satz kann viel verändern. Wenn du Menschen ein bisschen Einblick gibst, wird Rückzug oft besser verstanden und respektiert.



Viele Menschen mit ADHS oder kPTBS haben erlebt, dass ihre Rückzugsmomente belächelt oder als unhöflich missverstanden wurden. Doch soziale Resilienz bedeutet nicht nur, dich selbst besser zu schützen – sondern auch, dich in deinen Beziehungen verständlich zu machen. Du musst nicht jedem alles erzählen. Aber ein kurzer Satz, ehrlich und klar formuliert, kann eine Tür öffnen. Nicht nur für dich, sondern auch für dein Gegenüber.


Wichtig ist: Sprich nicht in Diagnosen, sondern in Bedürfnissen. Und halte es einfach. Dein Ziel ist nicht Rechtfertigung, sondern Verständigung.



Rückzug verstehen – und dich selbst mit neuen Augen sehen


Wenn du beginnst, deine Überforderung nicht mehr als „schwach“ oder „überempfindlich“ zu sehen, sondern als Teil deiner Prägung – verändert sich alles. Die Frage ist nicht mehr: Was stimmt nicht mit mir? Sondern: Was braucht mein System, um sich sicher zu fühlen?



Viele Menschen mit ADHS oder Trauma-Erfahrungen haben gelernt, sich selbst zu übergehen – vor allem dann, wenn es um Überforderung geht. Sie funktionieren, machen weiter, und wenn sie zusammenbrechen, kommt oft die Scham.

Doch soziale Erschöpfung ist keine Charakterschwäche. Sie ist eine zutiefst körperliche Reaktion auf Reizfülle, Anpassungsdruck und alte Muster. Wenn du anfängst, dein inneres Erleben wirklich ernst zu nehmen, kannst du dich mitfühlend statt abwertend begleiten.

Das heißt auch: Du musst nicht stärker werden. Du darfst feiner werden – für deine eigenen Grenzen, deine inneren Alarme, deinen echten Energiezustand.

In dem Moment, in dem du beginnst, dich selbst nicht mehr als „zu empfindlich“, „schwach“ oder „nicht belastbar“ zu betrachten, sondern mitfühlend zu sehen, beginnt Heilung. Und Rückzug wird nicht mehr zum Rückfall – sondern zur Fürsorge.


Wenn du dir Begleitung wünscht...


Häufig gestellte Fragen zum Thema ADHS, Rückzug & Selbstfürsorge

Empfehlungen zum Weiterlesen & Vernetzen


 
 
 

Kommentare


bottom of page