Wenn das System kippt – Warum viele Menschen mit ADHS und Trauma so stark auf Strukturbruch reagieren
- sibyllefuenfstueck
- vor 3 Tagen
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„Ich brauche meine Abläufe. Wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, dreht sich innerlich alles. Dann werde ich laut – obwohl ich das gar nicht will.“
Es ist eine Reaktion, die viele nicht verstehen – auch Betroffene selbst nicht. Plötzliche Planänderungen, Störungen im Ablauf, ein unvorhergesehener Zwischenruf – und schon ist da diese Wut. Man fährt aus der Haut, sagt Dinge, die man später bereut, oder zieht sich zurück. Außenstehende denken vielleicht: „Was für ein Kontrollfreak.“ Doch was hier sichtbar wird, ist kein „tick“, sondern oft ein Ausdruck tiefer Not – besonders bei Menschen mit ADHS und traumatischen Kindheitserfahrungen.
1. ADHS: Ein Gehirn im ständigen Wechsel zwischen Antrieb und Überforderung
Menschen mit ADHS haben kein Aufmerksamkeitsdefizit – sie haben ein Problem mit der Aufmerksamkeitsregulation.
Ihr Nervensystem arbeitet nicht linear, sondern in Extremen: Hyperfokus oder Reizüberflutung, impulsives Handeln oder lähmende Starre, Tatendrang oder totale Erschöpfung.
Neurobiologisch betrachtet liegt dem ADHS häufig eine Dysregulation des dopaminergen Systems zugrunde. Dopamin ist ein Botenstoff, der für Motivation, Belohnungsverarbeitung, Ausdauer und emotionales Gleichgewicht verantwortlich ist. Bei ADHS ist dieser Neurotransmitter oft ungleich verteilt oder zu schnell abgebaut – das Gehirn sucht permanent nach Stimulation, um diesen Mangel auszugleichen.
Die Folge:
Reizoffenheit: Alles scheint gleich wichtig – Reize strömen ungebremst ins System.
Ständige Unterbrechungen: Gedanken springen, Aufgaben werden begonnen, aber nicht abgeschlossen.
Emotionale Intensität: Gefühle kommen schnell, heftig und oft schwer steuerbar.
Impulsivität: Entscheidungen werden aus dem Moment heraus getroffen – nicht selten mit späterem Bedauern.
Betroffene berichten häufig, dass sie leistungsfähig, kreativ und klar strukturiert sind – solange es äußere Vorgaben gibt. Ein enger Terminrahmen, klare Ziele oder jemand, der mitzieht – all das hilft, das innere Chaos in produktive Bahnen zu lenken.
Doch sobald diese äußeren Strukturen wegfallen, zeigt sich das eigentliche Problem: das innere Steuerungssystem greift nicht. Es fehlt die Fähigkeit zur Selbststrukturierung, zur Priorisierung, zur Planung – nicht aus mangelndem Willen, sondern weil das Gehirn schlicht anders arbeitet.
Wenn man zusätzlich bedenkt, dass viele Betroffene sich ein Leben lang „zusammenreißen“ mussten, um irgendwie zu funktionieren, wird klar:
ADHS ist kein Mangel an Intelligenz oder Motivation – sondern ein anderes neuronales Betriebssystem.
2. Struktur als Kompensation – Warum Ordnung überlebenswichtig werden kann

Viele Betroffene entwickeln im Laufe ihres Lebens eine Art äußere Ordnung, um das innere Chaos zu bändigen. Kalender, Routinen, feste Abläufe, Listen, wiederkehrende Rituale – all das ist nicht Ausdruck von Spießigkeit, sondern eine kreative Überlebensstrategie.
Struktur gibt Sicherheit, Vorhersehbarkeit und Kontrolle – drei Dinge, die im Leben vieler Betroffener von Anfang an gefehlt haben.
Wer in einer Umgebung aufgewachsen ist, in der nichts verlässlich war – sei es durch Gewalt, Alkohol, emotionale Kälte oder unberechenbare Eltern – der hat oft gelernt:
Ich muss die Ordnung selbst herstellen, sonst bin ich verloren.
So wird äußere Struktur zu einem inneren Rettungsanker. Sie ist nicht einfach eine Gewohnheit – sie ist eine Antwort auf eine tief verankerte Erfahrung von Kontrollverlust.
Ordnung wird dann zur Notwendigkeit, weil sie das einzige Mittel ist, ein fragiles inneres Gleichgewicht aufrechtzuerhalten.
Ein geplanter Tagesablauf, ein sauber sortierter Schreibtisch, wiederkehrende Rituale wie Tee am Morgen oder bestimmte Einschlafgewohnheiten – all das hilft dem Nervensystem, in einem Zustand relativer Ruhe zu bleiben.
Es ist eine Form der Selbstregulation, bei der äußerer Halt inneren Halt erzeugt.
Doch: Dieser Halt ist oft brüchig.
Wenn dann etwas Unerwartetes passiert – eine Absage, ein verschobener Termin, ein plötzlicher Geräuschreiz oder auch nur eine vergessene Aufgabe – meldet das Nervensystem Alarm.
Nicht selten fühlt sich das an, als stünde alles auf dem Spiel. Denn im tiefsten Inneren ist die unbewusste Botschaft:
„Wenn ich jetzt nicht funktioniere, bricht alles zusammen.“
Was dann folgt, ist keine Überreaktion, sondern eine neurobiologisch verankerte Notfallreaktion:
Das limbische System fährt hoch – Stresshormone fluten den Körper.
Der präfrontale Kortex, zuständig für Planung und Reflexion, wird gehemmt.
Es kommt zu emotionaler Überwältigung, Reizbarkeit, Rückzug oder totaler Erschöpfung.
Diese Reaktion ist umso stärker, wenn frühe Bindungserfahrungen von Unberechenbarkeit, Angst oder Verlassenwerden geprägt waren. Denn dann lernt das System früh: Unvorhergesehenes ist gefährlich.
Was für andere also eine kleine Störung im Ablauf ist, kann für traumatisierte Menschen mit ADHS wie ein innerer Systemabsturz wirken:
Die scheinbar banale Unterbrechung reaktiviert das alte Gefühl, schutzlos und überfordert zu sein.
Für viele Menschen mit ADHS ist Struktur eine Möglichkeit, innere Überforderung im Zaum zu halten. Doch wenn zusätzlich traumatische Erfahrungen hinzukommen – etwa in Form instabiler Bindungen, emotionaler Vernachlässigung oder Gewalt – wird Struktur mehr als ein Hilfsmittel: Sie wird zu einem lebensnotwendigen Halt in einer unberechenbaren Welt.
3. Wenn Trauma dazukommt – Struktur als überlebenswichtiger Halt
Bei Menschen mit traumatischer Prägung bekommt Struktur noch einmal eine tiefere Bedeutung: Sie ist nicht nur Organisation, sondern oft das Einzige, was das eigene Leben überhaupt zusammenhält.
Entwicklungstrauma bedeutet: Die grundlegenden Erfahrungen von Sicherheit, Schutz und Co-Regulation waren in der Kindheit nicht ausreichend verfügbar. Für viele Betroffene war das Zuhause kein sicherer Ort – sondern einer, an dem sie sich auf nichts verlassen konnten: auf keine Stimmung, keine Reaktion, keine liebevolle Zuwendung.
In so einer Welt lernt das Kind:
Ich muss selbst Ordnung schaffen – sonst überlebe ich das nicht.
Die Folge: Viele Betroffene entwickeln schon früh strategische Überlebensmuster:
übermäßige Kontrolle des eigenen Tagesablaufs,
perfektionistische Ansprüche an Leistung und Verhalten,
rigide Routinen oder zwanghafte Rituale,
Vermeidung von Spontaneität oder Unordnung.
Diese Muster haben oft das Überleben gesichert – sie haben geholfen, das Unvorhersehbare abzufangen, Gefühle zu unterdrücken, Eskalationen zu vermeiden. Deshalb können sie heute nicht einfach „abgelegt“ werden – sie sind tief eingebrannt in das Selbstverständnis.
Was Außenstehende als „Kontrollfimmel“ oder „Überreaktion“ abtun, ist oft ein zutiefst schützendes System. Ein Versuch, innere Not durch äußere Ordnung einzudämmen. Und solange dieses System funktioniert, geht es halbwegs. Doch wehe, ein Baustein gerät ins Wanken.
Beispiel: Nina und das abrupte Ende der Ordnung
Nina, 42 Jahre alt, lebt mit ADHS und einer komplexen Traumafolgestörung. Ihre Kindheit war geprägt von emotionaler Unvorhersehbarkeit: Der Vater trank, die Mutter zog sich zurück. Liebe gab es manchmal – aber nie verlässlich.
Heute lebt Nina strukturiert, diszipliniert, erfolgreich. Doch eines Tages fällt kurz vor einem wichtigen Online-Termin das WLAN aus. In Sekunden kippt ihr Zustand: Sie sucht verzweifelt nach Lösungen, vergisst ihren Laptop, wird fahrig, weint schließlich – und fühlt sich „wie ein Kind, das alles falsch macht“.
In der Therapie wird klar: Der WLAN-Ausfall war nur der Auslöser. Der Zusammenbruch galt nicht dem Moment – sondern der Erfahrung von einst. Denn in Ninas innerem System steht Unvorhergesehenes für Gefahr, Kontrollverlust, Ausgeliefertsein. Struktur war ihr Rettungsboot – und plötzlich war es weg.
4. Das Nervensystem in Alarm – Der alte Alarm in neuem Gewand
Wenn bei Menschen mit ADHS und Trauma eine Kleinigkeit den Tagesablauf stört, geschieht oft etwas, das sich wie ein innerer „Systemabsturz“ anfühlt. Was nach außen aussieht wie Überreaktion, Hektik oder Rückzug, ist in Wahrheit: ein Alarmzustand des autonomen Nervensystems.
Trauma wird nicht erinnert – es wird reaktiviert
Traumatische Erfahrungen – besonders in der Kindheit – hinterlassen keine „Erinnerung“ im klassischen Sinne. Sie speichern sich als Körperzustand, als unausgesprochene Botschaft: „Ich bin in Gefahr.“
Das Nervensystem lernt dabei nicht nur, auf tatsächliche Bedrohung zu reagieren, sondern auf alles, was einer Bedrohung ähnlich erscheint. Das nennt man implizites Gedächtnis – und genau das wird im Alltag immer wieder aktiviert:
Ein abgesagter Termin: Verlassensangst.
Eine unerwartete Geräuschkulisse: alte Reizüberflutung.
Ein technisches Problem: Hilflosigkeit wie damals.
Der Körper reagiert in Millisekunden – noch bevor der Verstand die Situation einordnen kann.
Was genau passiert im Nervensystem?
1. Amygdala feuert – sie scannt unentwegt nach Gefahr.
2. Hypothalamus aktiviert den Sympathikus – der Körper wird auf Kampf, Flucht oder Erstarrung vorbereitet.
3. Stresshormone (Adrenalin, Cortisol) werden ausgeschüttet – Herzschlag, Muskeltonus, Atemfrequenz steigen.
4. Der präfrontale Kortex wird gehemmt – das heißt: Kein klares Denken, keine Übersicht, keine Planung.
Das alles ist evolutionär sinnvoll – aber bei traumatisierten Menschen chronisch fehlgesteuert. Das System schlägt Alarm – auch wenn objektiv keine Gefahr besteht.
Bei ADHS kommt etwas Entscheidendes hinzu
Menschen mit ADHS erleben ohnehin einen instabilen Grundtonus: ihr Nervensystem schwankt zwischen Übererregung und Erschöpfung.
Kombiniert mit Trauma entsteht ein Zustand ständiger Reizempfänglichkeit – vergleichbar mit einem Rauchmelder, der bei jeder Wasserdampfwolke losgeht.
Das Ergebnis:
Emotionale Eskalationen, die sich nicht stoppen lassen.
Rückzug, obwohl man eigentlich handeln müsste.
Oder das Gefühl, „ich funktioniere plötzlich nicht mehr“.
In Wahrheit ist das Nervensystem in diesem Moment nicht im Alltag – sondern zurück in der alten Bedrohung.
Nicht, weil man sich erinnert – sondern weil der Körper erinnert.
5. Im Alltag zwischen Selbstschutz und Selbstverurteilung
Viele Menschen mit ADHS und traumatischer Prägung leben in einem ständigen Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Zusammenbruch.
Sie funktionieren – bis sie es nicht mehr tun. Sie geben alles – und zweifeln im selben Moment an sich selbst.
Struktur hilft ihnen, sich sicher zu fühlen. Aber sie wird auch schnell zur Bürde. Denn die Aufrechterhaltung kostet Kraft, Disziplin und ständige Selbstbeobachtung.
Wenn diese Ordnung dann doch ins Wanken gerät, entsteht nicht nur Stress – sondern oft ein tiefer Riss im Selbstwert.
„Ich habe es wieder nicht geschafft.“
„Ich bin einfach nicht belastbar.“
„Ich bin anstrengend – für mich und andere.“
Diese Sätze fallen nicht zufällig. Sie sind Überbleibsel alter Beziehungserfahrungen, in denen das Kind für seine Reaktionen beschämt, verlassen oder korrigiert wurde.
Statt Trost gab es Rückzug. Statt Verständnis – Ärger. Die Botschaft: So wie du bist, bist du zu viel.

Die paradoxe Funktion der Selbstverurteilung
So hart es klingt: Auch Selbstabwertung kann eine Form von Kontrolle sein.
Denn wer sich selbst herabsetzt, muss nicht riskieren, dass es andere tun. Wer sich selbst schuldig fühlt, vermeidet oft die noch größere Angst: hilflos zu sein.
Diese innere Logik bleibt bestehen, auch wenn man längst erwachsen ist.
Sie zeigt sich im Alltag als:
übermäßige Selbstkritik bei kleinen Fehlern,
Rückzug aus sozialen Kontakten aus Angst, „nicht gut genug“ zu sein,
zwanghaftes Funktionieren – um Zusammenbruch zu vermeiden,
Angst vor Nähe, weil man glaubt, so wie man ist, nicht zumutbar zu sein.
Die Folge: Betroffene schwanken zwischen Selbstschutz und Selbstverurteilung.
Sie versuchen, sich zu regulieren – und hassen sich dafür.
Was in Wahrheit gebraucht wird
Nicht mehr Disziplin. Nicht noch mehr Struktur. Sondern:
Mitgefühl, Kontext, Entlastung.
Ein Verständnis dafür, dass die Reaktion nicht „zu viel“ ist – sondern eine Erinnerung an ein Nervensystem, das sich früh allein regulieren musste.
6. Was hilft, wenn das System kippt – Der therapeutische Weg
Wenn innere Ordnung nur durch äußere Kontrolle möglich scheint, wenn kleine Veränderungen emotionale Stürme auslösen und der Alltag zu einem Balanceakt zwischen Funktionieren und Zusammenbruch wird – dann braucht es mehr als Strategien.
Dann braucht es Beziehung. Zeit. Und einen Raum, in dem nichts weichen muss, um da sein zu dürfen.
a) Beziehung als heilender Gegenpol
Viele Betroffene haben früh gelernt: Nähe ist unsicher. Unterstützung ist unzuverlässig. Gefühle überfordern andere – also lieber selbst klein machen.
In der Therapie kann das Gegenteil erlebbar werden:
„Ich darf mit all dem da sein – und jemand bleibt.“
Gerade bei komplexer Traumatisierung und ADHS ist die therapeutische Beziehung nicht nur Mittel zum Zweck, sondern selbst ein Wirkfaktor:
Ein sicherer Ort, an dem das Nervensystem lernen darf, dass Regulation gemeinsam möglich ist.
Dass Struktur nicht nur von innen kommen muss. Dass man gehalten werden kann, ohne perfekt zu sein.
b) Integration statt Unterdrückung
Viele Betroffene erleben sich als widersprüchlich: Einerseits der disziplinierte, organisierte Teil – andererseits das chaotische, überflutete, beschämte Kind.
In der Therapie geht es darum, diese inneren Anteile zu identifizieren, zu würdigen und miteinander in Kontakt zu bringen.
Methoden wie:
Schematherapie (z. B. mit dem Modell der Modi),
IFS (Internal Family Systems),
oder NARM (mit Fokus auf Bindungsmuster und Identität)
ermöglichen eine tiefe Arbeit mit der inneren Dynamik. Ziel ist nicht, den „funktionierenden Teil“ zu stärken und den verletzlichen zu verdrängen – sondern beides in eine tragfähige innere Struktur zu integrieren.
c) Langzeitbegleitung als Stabilisierung
Bei langjährig verinnerlichten Mustern braucht Veränderung Zeit.
Nicht, weil Betroffene „schwierig“ sind – sondern weil das Nervensystem mit guten Gründen misstrauisch ist.
Es testet. Zieht sich zurück. Will Sicherheit. Und braucht Wiederholung.
Langzeittherapie ist hier kein Scheitern schneller Methoden – sondern eine Würdigung der Tiefe der Verletzung.
Sie ermöglicht:
neue emotionale Erfahrungen in verlässlicher Beziehung,
Wiederaufbau von Vertrauen – auch ins eigene Spüren,
langsame Desensibilisierung gegenüber Triggern,
und den Aufbau flexibler, selbstgewählter Strukturen.
d) Vom Funktionieren zum Leben
Der eigentliche therapeutische Weg führt nicht nur zur Symptomreduktion.
Er führt zu etwas Tieferem:
Von einem Leben im Alarmmodus – zu einem Leben in Kontakt.
Von Selbstverurteilung – zu Selbstverständnis.
Von Zwangsstruktur – zu gelebter Selbstfürsorge.
Und manchmal beginnt dieser Weg mit einem scheinbar banalen Moment:
Ein Termin fällt aus – und es ist NICHT das Ende der Welt.
Sondern der Anfang von etwas Neuem.
Die emotionale Dimension – Wenn Strukturverlust nicht nur Stress, sondern Scham auslöst
Für viele neurodivergente Menschen, insbesondere mit ADHS und traumatischer Prägung, ist es nicht nur die Unordnung im Außen, die ihnen zu schaffen macht. Es ist das, was innerlich passiert, wenn die gewohnte Struktur wegbricht: Ein Gefühl von Versagen, von Kontrollverlust – und oft auch eine tiefe Scham darüber, wie sehr sie aus dem Gleichgewicht geraten.
„Warum bin ich so?“ – Der stumme Hilferuf im Chaos
Wenn Pläne durcheinandergeraten, Termine verpasst werden, der Alltag aus dem Ruder läuft, dann ist das nicht einfach nur „unpraktisch“. Für viele Betroffene fühlt es sich an wie ein persönliches Scheitern.
Sie erleben sich als überfordert, unzulänglich, unzuverlässig – und schämen sich dafür, obwohl sie genau wissen, dass sie sich bemühen.
Viele Klient:innen beschreiben in solchen Momenten Gedanken wie:
„Alle anderen kriegen das doch auch hin.“
„Warum kann ich das nicht einfach wie ein normaler Mensch machen?“
„Ich hasse es, so zu sein.“
Diese Gedanken entstehen nicht aus Bequemlichkeit oder Desinteresse, sondern aus einer tiefliegenden Überforderung, die oft biografisch geprägt ist.
Strenge innere Stimmen – und der Wunsch, anders zu sein
Menschen mit ADHS und traumatischen Vorerfahrungen haben oft gelernt, dass Leistung, Kontrolle und Anpassung überlebenswichtig sind.
Wenn ihnen das nicht gelingt – z. B. weil das Nervensystem gerade überflutet ist oder Routinen wegbrechen –, meldet sich sofort die innere Kritikerin:
„Reiß dich zusammen.“
„Du bist wieder mal zu unorganisiert.“
„Typisch, du versaust es.“
Diese harten Selbstzuschreibungen sind oft nicht die eigene Stimme, sondern Überbleibsel früherer Prägungen: Eltern, Lehrer:innen oder Bezugspersonen, die hohe Erwartungen hatten – oder keinen Raum für Überforderung ließen.
Scham macht alles schwerer – und bleibt oft unerkannt
Das Gefühl von Scham – darüber, „anders“ zu sein, unzuverlässig, emotional oder unkonzentriert – ist ein stiller Begleiter vieler ADHS-Betroffener.
Es wird selten offen ausgesprochen, aber es formt Entscheidungen, Selbstbilder und Beziehungen.
Betroffene ziehen sich zurück, übernehmen weniger Verantwortung oder versuchen, alles mit Perfektionismus zu kompensieren – und geraten so in eine Dauerschleife aus Überforderung und Selbstabwertung.
Was hilft?
Psychoedukation: Verstehen, dass diese Reaktionen nicht persönliches Versagen sind, sondern neurobiologisch erklärbar – und häufig traumaassoziiert.
Scham erkennen und benennen: Scham verliert Macht, wenn sie gesehen wird.
Selbstmitgefühl aufbauen: Du bist nicht „falsch“, du reagierst auf eine Welt, die selten Rücksicht nimmt auf dein Nervensystem.
Therapeutische Begleitung: Besonders hilfreich ist eine Haltung, die auf Sicherheit, Ressourcenstärkung und Würdigung des Überlebenswillens basiert.
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Bildidee: Person sitzt mit gesenktem Kopf vor einem chaotischen Kalender / Plan. Oder: eine Hand hält sich an einem Notizbuch fest, im Hintergrund verschwimmt der Alltag.
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